Alltag

Meine Woche 23 // Trotzphase und Landleben

Der Junge lässt mich täglich meine Nerven verlieren und auch wenn ich sie bis jetzt immer wiedergefunden habe, geht es doch an die Substanz. Man will als Mutter ja nicht nur perfekt, sondern auch sau cool sein. Wenn der Sohnemann dann aber einen hysterischen Anfall bekommt, weil der Mann auf dem roten Fahrrad nach links abgebogen ist, weiß man sich auch nicht mehr zu helfen. Ich habe mir jetzt das Buch „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Der entspannte Weg durch Trotzphasen“ gekauft, um ein bisschen nachvollziehen zu können, warum sich mein Kind sau-uncool (besonders für mich) auf den Boden schmeißt, bloß weil man den Jogurt aufgemacht hat. Oder nicht aufgemacht hat. Oder von der falschen Seite aufgemacht hat.

Ich bin erst auf Seite 9, erkenne aber einige Situationen wieder. Wenn unser Junge einen Anfall bekommt, dann gilt folgende Wahrscheinlichkeitsrechnung:

1% – er hat sich wehgetan
9% – Hunger, Durst, müde, Windel voll
90% – Dinge klappen nicht so, wie der Lümmel es will (z.B. die Tür alleine mit dem Schlüssel aufsperren, die Blumen gießen, den Socken alleine anziehen, die Spagetti auf die Gabel piksen, dem Hund die Ohren abnehmen, den Hund an der Leine führen, das Dreirad alleine die Treppe hochtragen, den Legostein falschrum auf einen anderen draufstecken, das Handyvideo anschauen, ohne dass es wieder weggeht, weil er seine Patschefinger nicht vom Bildschirm lassen kann,… ich könnte ewig so weitermachen).

Ist Weglaufen eine Lösung? – Ja!

Ich liebe unser Zuhause! Ich fühle mich wohl im Kiez! Ich wüsste nicht, was ich ohne meine Mutti-Freundinnen machen sollte und ich komme immer noch nicht drauf klar, dass der nächste H&M nur 100 Meter von unserer Wohnung entfernt ist. Dennoch denken wir tatsächlich oft über das Landleben nach. Wäre es einfacher? Tür auf, Kind und Hund raus, ein bisschen Kräuter und Gemüse im Garten anbauen, ein kleines 500-Seelendorf im Grünen, nicht weit entfernt von der Großstadt. Das wär’s doch, oder? Kann das funktionieren, oder würde ich, nach einem weiteren freundlichen Winken des Nachbarn, ihn mit den Zwetschgen aus dem eigenen Garten bewerfen, kein BBQ vom Grill mehr sehen können, die Wäsche auf der Leine im Garten wegen der Vogelkacke schon wieder neu waschen müssen und das 85. Dorffest boykottieren?

Heute sind fünf Polizeiautos, drei Krankenwägen mit Blaulicht und Sirene und ein Müllauto – hintereinander – an uns vorbeigedonnert. Ich werde dem Kind nie wieder was Aufregenderes bieten können, als das Leben in Neukölln. 

Wobei das Landleben auch wieder viele spannende Dinge parat hält. Wenn ich daran denke, wie wunderbar sich Kind und Hund gestern damit beschäftigen konnten, der großen Fleischfliege hinterherzulaufen, die sich in unserer Wohnung verflogen hatte. Ich war so sauer auf das brummende Ding, als es beschlossen hatte, sich in der obersten Zimmerecke für ein Mittagsschläfchen zur Ruhe zu setzen.

Aber es sind genau diese Momente, die ein Leben auf der „Vogelgezwitscher – Pferde stehen auf der Koppel – Seite des Lebens“ um so vieles leichter machen.

Moment des Tages

Ich stehe, in meiner Handtasche nach dem Schlüssel kramend, vor unserer Haustür. Es beginnt gerade zu regnen und unser Hund, der eigentlich eine verkappte Siamkatze ist wenn es um Regen geht, fängt an unruhig zu werden. Der Junge zieht an der Leine und will ihn „alleine“ führen, als unsere Nachbarin mit ihrem Hund um die Ecke biegt und von der anderen Seite der Besitzer vom kleinen Italiener mit seinem liebenswerten, aber sehr, sehr großen Hund kommt. Das Siamkätzchen alias Charly unser Hund, zieht an der Leine, der Junge lässt die Leine los, plumpst zu Boden und bekommt gleichzeitig einen Wutanfall, weil ER doch die Leine halten wollte, die sich gerade zum dritten Mal unangenehm um mein Bein wickelt. Ich fange auf der obersten Eingangstreppe an zu schwanken, der Hund bellt die anderen Hunde an, das Kind liegt auf dem Boden, kommt mit dem Verlust der Leine nicht klar und stößt sich den Kopf, die Nachbarin erzählt von ihrem Wochenende, der Italiener zieht seinen Hund von uns weg, der Schlüssel rutscht ins tiefe Nichts der Tasche und auf der Straße hupt ein Mann, dessen Hand wohl mit der Lenkradhupe verschmolzen ist, einen Wagen in zweiter Reihe an.

Klitschnass vom Regen und Schweiß, öffne ich die Wohnungstür, lege Junior zum Mittagsschlaf hin, gebe dem Hund einen dieser schrecklich stinkenden Pansenknochen und google: Immobilien im Grünen.

Fortsetzung folgt.

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